Motivierend zum Stillen zu beraten bedeutet, die Frau partnerschaftlich hin zu selbstbestimmten Entscheidungen über die Ernährung ihres Säuglings zu begleiten. Ein wissenschaftlich erprobtes und bewährtes Konzept dafür ist „Motivational Interviewing“, übersetzt Motivierende Gesprächsführung. Diese Gesprächstechnik erkundet Ambivalenzen und weckt intrinsische Motivation, aus der heraus Frauen für sie stimmige Entscheidungen rund um das Stillen treffen können. Die eingesetzten Methoden wie aktives Zuhören und das Stellen offener Fragen ermöglichen auch eine strukturierte Beratung in knapp zehn Minuten. Die Verantwortung für die Entscheidung wird ganz bewusst in die Hände der Gesprächspartnerin gelegt. Das kann bei dieser die wahrgenommene Selbstwirksamkeit stärken sowie Widerstände abbauen und gleichzeitig die Beratenden entlasten.
Motivierende Gesprächsführung: Gesprächsansatz für "heikle" Themen
Das Konzept der motivierenden Gesprächsführung wurde in den 1980er Jahren von den Psychotherapeuten William R. Miller und Stephen Rollnick für die Suchtarbeit entwickelt [1] und erfolgreich eingesetzt [2-4]. Es basiert auf einem klientenzentrierten Ansatz, d. h. der Annahme, dass die zu beratende Person selbst die größte Expertise für ihre Möglichkeiten der Verhaltensänderung hat. Die Forschung zu motivierender Gesprächsführung umfasst zahlreiche randomisierte, kontrollierte Studien und Metaanalysen [1, 5]. Es ist als Gesprächsführungskonzept für „heikle“ Themen geeignet, die für die beratene Person schwierig oder emotional sein können. Eingesetzt wird es in Beratungssituationen, die zu einer nachhaltigen Verhaltensänderung führen sollen, z. B. in der medizinischen Beratung [6] oder in physio- und ergotherapeutischem Kontext [7], aber auch in der Schwangeren- und Stillberatung. Erste Studien beobachten einen positiven Effekt auf das Stillen nach dem Einsatz dieses Konzepts [8-10], auch bereits in 10-minütigen Kurzinterventionen (siehe Tabelle 3).
Gezielt intrinsische Motivation wecken
Das Beratungskonzept basiert auf einer partnerschaftlichen, akzeptierenden und empathischen Grundhaltung gegenüber der Gesprächspartnerin. Mit motivierender Gesprächsführung kann bei der beratenen Person die innere Bereitschaft für eine Verhaltensänderung aktiviert werden. Dies geschieht vor allem durch die Steigerung der wahrgenommenen Selbstwirksamkeit [11], was besonders auch für Frauen in belasteten Lebenslagen relevant ist [12]. Mit dem Stellen offener Fragen und mit aktivem Zuhören (Tabelle 1) treten zunächst mögliche Ambivalenzen der Frau zutage (Tabelle 2) und sie setzt sich aktiv mit dem Für und Wider auseinander. Indem bewusst vermieden wird, Ratschläge zu geben, kann eine mögliche Abwehrhaltung reduziert oder ganz aufgelöst werden. Wenn die Frau ihre Entscheidung für das Stillen getroffen hat, ist es hilfreich, ihre Eigenmotivation und Zuversicht zu stärken und damit ihre Stillabsicht zu festigen.
Methode | Beispiele |
Offene Fragen stellen Fragen stellen, die nicht mit Ja oder Nein zu beantworten sind |
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Aktiv zuhören (fast) wörtlich wiedergeben, wie man das Gehörte verstanden hat |
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Das hat sie gesagt … | Das könnte sie gedacht haben … |
Flaschennahrung finde ich einfacher. | Über Stillen denke ich manchmal aber auch noch nach … |
Meine Mutter hatte auch nicht genug Milch für mich. | Ich hätte gern genug Milch für mein Kind … |
Ich muss so schnell wie möglich wieder arbeiten. | Bis dahin wäre Stillen vielleicht eine gute Möglichkeit … |
Stillen braucht so viel Zeit, das schaffe ich einfach nicht. | Ich würde gerne stillen und wünsche mir Unterstützung … |
Entscheidungsprozesse fördern in kurzen Zeitfenstern
Gerade bei zeitlich begrenzten Ressourcen von Beratenden bietet sich eine strukturierte Beratung in Form einer „Kurzintervention“ als Impulsgeber für Entscheidungsprozesse und Bereitschaft zu Verhaltensänderungen an. Diese kann beispielhaft so ablaufen wie in Tabelle 3 beschrieben.
Prozess | Fallbeispiel | |
1 | Problembewusstsein erzeugen | Ihr Entbindungstermin ist in drei Monaten. Gern würde ich mit Ihnen über das Stillen sprechen. |
2 | Eigenverantwortung betonen | Es ist voll und ganz Ihre Entscheidung, was Sie tun. |
3 | Ambivalenzen bewusst machen, änderungsbezogene Aussagen entlocken | Einerseits gehen Ihnen viele Gedanken durch den Sinn, die für das Stillen sprechen. Andererseits haben Sie die Sorge, dass es nicht klappen könnte. |
4 | Eigenmotivation unterstützen, Zuversicht stärken | Damit haben Sie für sich einen sehr mutigen Entschluss gefasst, mit dem Sie Ihren eigenen Weg gehen wollen. |
5 | Zielvereinbarung treffen | Wenn Sie möchten, gebe ich Ihnen eine Liste mit ehrenamtlichen Stillberaterinnen, damit Sie eine anrufen können. |
Der Einsatz einer solchen Kurzintervention direkt nach der Geburt durch das Personal einer Geburtsklinik in Spanien konnte die Selbstwirksamkeit stillender Mütter stärken und die Stillbereitschaft deutlich erhöhen [10]. Erste Ergebnisse der GeMuKi-Studie zur Implementierung von Lebensstilberatung in die Schwangerenvorsorge in Baden-Württemberg zeigen, dass eine 10-minütige motivierende Beratung durch eine geschulte Fachkraft (Ärzt*in, Hebamme, Medizinische*r Fachangestellte*r) sich positiv auf die Gewichtsentwicklung in der Schwangerschaft auswirkte [13]. Aufgrund dieser Befunde ist davon auszugehen, dass derartige Kurzinterventionen zum Stillen geeignet und sinnvoll sind.
Kompetenzen zur motivierenden Gesprächsführung entlasten Fachkräfte von dem Druck, Frauen vom Stillen „überzeugen zu müssen“, weil die Gesprächspartnerin bewusst zur eigenen Entscheidung motiviert wird. Die Kompetenzen können in unterschiedlichen Beratungssituationen von zahlreichen Berufsgruppen eingesetzt werden. Das Konzept begegnet auch einer Herausforderung im Gesundheitswesen: dem steigenden Beratungsbedarf für wichtige Weichenstellungen in der Prävention wie dem Stillen bei gleichzeitiger Zeitknappheit der Fachkräfte gerecht zu werden.