Fünf Basisinformationen gelten als elementar und besonders hilfreich für den Stillerfolg. Sie sind in der „Handvoll Wissen“ [1] zusammengefasst (Abb. 1).
- Stillen ist von der Natur vorgesehen, Muttermilch ist die normale Ernährung von Säuglingen.
- Direkter Hautkontakt gleich nach der Geburt zwischen Mutter und Kind wirkt sich positiv auf den Stillbeginn und die Stillbeziehung aus.
- Die zurückgelehnte Stillhaltung ist gerade kurz nach der Geburt eine entspannte Position für die Mutter und erleichtert dem Neugeborenen den Weg zur Brust.
- Häufiges Stillen ist richtig und wichtig, denn so bekommt ein Baby Milch nach Bedarf und viel körperliche Nähe.
- Es hilft zu wissen, dass sich Muttermilch auch von Hand gewinnen lässt, um flexibel und unabhängig von technischen Hilfsmitteln zu sein.
Dieses Basiswissen kann reichen, um auch schon in der Schwangerschaft Zuversicht und Selbstbewusstsein für die Stillzeit zu wecken. Zusammen mit niedrigschwelligen Angeboten zur Unterstützung bei Stillschwierigkeiten sowie dem Wissen, dass nicht immer alles perfekt laufen muss, schaffen diese Basisinformationen gute Voraussetzungen für eine gelingende Stillzeit.
1. Wertvoll: Stillen ist von der Natur vorgesehen
Die Brust bereitet sich bereits während der Schwangerschaft auf das Stillen vor: Schon ab der 16. Schwangerschaftswoche bildet das Brustdrüsengewebe kleine Mengen an Kolostrum [2]. Kolostrum ist die erste Milch, die dem Neugeborenen nach der Geburt zur Verfügung steht. Sie trägt auf vielfältige Weise zum Aufbau des kindlichen Immunsystems bei, fördert die natürliche Entwicklung des Darmmikrobioms, unterstützt die Gehirnentwicklung und die kognitiven Fähigkeiten [2, 3, 4, 5].
Darum ist die erste Milch, das Kolostrum, so besonders
Die Zusammensetzung der Muttermilch passt sich in den kommenden Monaten immer wieder individuell den Bedürfnissen des Kindes an. Gestillte Kinder sterben seltener am Plötzlichen Kindstod und erkranken u. a. seltener an Durchfall oder Diabetes Typ 2 und Übergewicht [6]. Auch für die Gesundheit der Mutter hat das Stillen positive Effekte: Kurzfristig etwa eine raschere Rückbildung der Gebärmutter, langfristig ein geringeres Risiko an Brust- und Eierstockkrebs, Diabetes mellitus Typ 2 und Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems zu erkranken [7]. Stillen ist darüber hinaus ein natürlicher Weg, um die Bindung zwischen Mutter und Kind zu stärken.
Diese Fakten unterstreichen die Vorteile der Muttermilch gegenüber Säuglingsmilchnahrung. Empfohlen wird in Deutschland, Säuglinge in den ersten sechs Monaten ausschließlich zu stillen (mindestens jedoch bis zum Beginn des fünften Monats). Auch nach Einführung der Beikost soll weiter gestillt werden. Wie lange insgesamt gestillt wird, entscheiden Mutter und Kind. Dabei gilt: Jegliches Stillen ist wertvoll [4].
2. Bindungsfördernd: Direkter Hautkontakt gleich nach der Geburt
Unmittelbar nach der Geburt werden wichtige Weichen für die Mutter-Kind-Bindung gestellt. Ungestörter, direkter Hautkontakt zwischen beiden gibt Zeit zum Kennenlernen, vermittelt dem Kind Geborgenheit und wirkt auf die Mutter beruhigend. Zudem wird die Ausschüttung der Stillhormone Prolaktin und Oxytocin stimuliert und das erste Anlegen erleichtert [8, 9]. Dazu wird das Neugeborene nach der Geburt nackt auf den Bauch der Mutter gelegt. Dort folgt es seinem Urinstinkt und bewegt sich zur Brust der Mutter, um mit dem Trinken zu beginnen. Dieser sogenannte „Breast Crawl“ wurde erstmals 1987 wissenschaftlich beschrieben [10]. Der Kurzfilm „Stillbeginn: Breast Crawl“ des Netzwerks Gesund ins Leben [11] dokumentiert diesen faszinierenden Moment. Das frühe Anlegen fördert den Stillerfolg nachhaltig [12, 8]. Selbst im Falle einer Covid-19-Erkrankung der Mutter ist der frühe Hautkontakt möglich: Eine dazu im März 2022 veröffentlichte S2k-Leitlinie unterstützt den Bindungsaufbau unter Einhaltung von Hygienemaßnahmen ausdrücklich [13].
Wenn aus medizinischen Gründen wie nach einer Vollnarkose der Hautkontakt zwischen Mutter und Kind gleich nach der Geburt nicht möglich ist, kann ersatzweise eine enge Bezugsperson durch den direkten Hautkontakt mit dem Säugling die Bindung festigen, Wärme geben und das Urvertrauen stärken [14, 15]. Mutter und Kind können den Hautkontakt und Stillbeginn so bald wie möglich nachholen und damit noch eine gelingende Stillbeziehung aufnehmen.
Direkt nach der Geburt: Wie kann Stillen erfolgreich gefördert werden?
3. Entspannt: Die zurückgelehnte Stillhaltung
Das Stillen sollte für Mütter und ihre Babys möglichst angenehm sein. Dafür gibt es verschiedene Stillpositionen, etwa im Sitzen und im Liegen. Im Laufe der Zeit findet die Mutter heraus, welche Stillpositionen für sie und ihr Kind passen. Das so genannte zurückgelehnte Stillen bietet sich besonders in den ersten Lebenswochen an [2, 16]:
- Die Mutter ist in einer bequemen, halb liegenden Position.
- Das Kind liegt bäuchlings in der Nähe der Brüste auf dem Bauch der Mutter und wird weitgehend von ihrem Körper gestützt. Es kann hier wie beim ersten Stillen den angeborenen Stillreflexen folgen, bewegt sich selbstständig zur Brust, dockt an und saugt.
- Etwas Halt kann dem Säugling bei Bedarf durch Abstützen unter den Füßen oder am Po gegeben werden.
- Die Schwerkraft unterstützt Mund-, Kiefer- und Zungenbewegungen.
Die zurückgelehnte Stillhaltung kann auch angenehm oder hilfreich sein bei Brustwarzenproblemen oder zur Vorbeugung davon, in Phasen sehr häufigen Stillens, bei sehr starkem Milchfluss und in besonderen Situationen wie bei beinah reif geborenen Frühgeborenen [16, 17, 18].
Für einen guten Stillstart spielt das richtige Anlegen des Säuglings eine große Rolle. Dazu gehört auch, wie der Säugling die Brust erfasst und trinkt. Eine professionelle Anleitung durch Hebamme, Gesundheits- und Krankenpfleger*in oder Stillberater*in kurz nach Geburt beugt Stillproblemen wie wunden Brustwarzen vor. Dabei hat das subjektive Empfinden der Mutter einen hohen Stellenwert: Wenn die Stillposition von außen gut aussieht, der Mutter das Stillen jedoch Schmerzen bereitet, sollte weiter nach Gründen geforscht werden, da Schmerzen beim Stillen ein häufiger Grund für vorzeitiges Abstillen darstellen [19].
4. Milchbildend: Häufiges Stillen ist richtig und wichtig
Häufiges Stillen entspricht dem natürlichen Verhalten von Neugeborenen. In den ersten Wochen wollen viele Säuglinge acht- bis zwölfmal am Tag gestillt werden, einige auch öfter. Stillen nach Bedarf ist die wichtigste Maßnahme, um die Milchbildung sicher aufzubauen und auf den Säugling abzustimmen. Dabei gibt es kein „zu viel“. Insbesondere in den ersten Lebenswochen, oft gegen Abend, kann es Phasen geben, in denen der Säugling häufiger als sonst an die Brust möchte [20]. Dieses so genannte „Clusterfeeding“ verunsichert viele Mütter. Sie fragen sich, ob ihr Kind wirklich satt wird. Deshalb ist es wichtig, bereits in der Stillvorbereitung zu thematisieren, dass Clusterfeeding ein typisches Saugverhalten in den ersten Lebenswochen eines Säuglings ist und kein Zeichen für zu wenig Milch. Es gehört zum physiologischen Prozess der Milchbildung. Erstmals kann Clusterfeeding zwischen dem zweiten und vierten Lebenstag vorkommen.
Abendlicher Stillmarathon: Was bedeutet Clusterfeeding?
Der Sorge vieler Mütter, nicht genug Milch zu haben, können Fachleute entgegnen, dass Muttermilch in der Regel ausreicht, wenn nach Bedarf gestillt wird [21] und das Baby effektiv an der Brust trinkt [17]. Ein Kind gedeiht gut, wenn es (nach dem physiologisch normalen Gewichtsverlust in den ersten Tagen nach der Geburt) an Gewicht zunimmt und wächst, wenn es aktiv und zufrieden ist, regelmäßig Urin absetzt und Stuhlgang hat sowie keine Anzeichen von Krankheit zeigt.
Habe ich genug Milch für mein Baby?
Wie oft müssen Säuglinge gestillt werden?
5. Praktisch: Muttermilch von Hand gewinnen
Viele Mütter möchten auch mal unabhängig sein und etwas ohne ihr Kind unternehmen. Sie können Milch von Hand gewinnen oder abpumpen und ihr Kind von anderen Bezugspersonen - etwa dem Vater - füttern lassen. Die Muttermilchgewinnung per Hand ist gut zu lernen, in jeder Lebenssituation anwendbar, macht unabhängig von technischen Hilfsmitteln und fördert Selbstwirksamkeit [2]. Die richtige Technik kann bei einem*einer qualifizierten Stillberater*in oder Hebamme erlernt werden. Wie beim Stillen ist es auch bei der Handgewinnung oder beim Abpumpen hilfreich, sich Zeit zu nehmen und es sich bequem zu machen:
- Nach dem Händewaschen und einer kurzen Brustmassage werden Daumen sowie Zeigefinger und Mittelfinger einander gegenüber jeweils 2 bis 3 cm von der Brustwarze entfernt an die Brust angelegt.
- Die Brustwarze ist zwischen Daumen und Zeigefinger/Mittelfinger platziert.
- Die Finger zum Körper führen, ohne sie zu spreizen.
- Die Finger zusammenführen, vom Körper weg, ohne sie auf der Haut zu verschieben. Das Gewebe sollte immer mitgenommen werden.
- Die Bewegung wird rhythmisch wiederholt, dabei können die Finger umgesetzt werden, um Milch aus unterschiedlichen Bereichen der Brust zu gewinnen.
- Manchmal dauert es eine Weile, bis Milch aus der Brust fließt. Dann sollte nicht der Druck der Finger verstärkt, sondern die Stimulation an der anderen Brustseite wiederholt werden.
- Die Bewegungen vorsichtig ausführen, sie sollten nicht weh tun.
- Die Milch kann mit einem Becher oder einer Flasche aufgefangen werden.
Dieses Video zeigt eine Anleitung zur Milchgewinnung per Hand.
Auch Kolostrum kann per Hand gewonnen und dem Kind gegeben werden, zum Beispiel wenn das Kind nach der Geburt zunächst medizinisch behandelt werden muss, oder wenn die Mutter nicht stillt, ihrem Kind aber die an Immunstoffen reiche Neugeborenenmilch geben möchte.
Es muss nicht alles gleich klappen!
„Der Wunsch zu stillen ist die beste Voraussetzung dafür, dass es klappt. Wissen und gute Beratung geben den Müttern Sicherheit und Zuversicht und lassen sie Probleme meistern. Der Stillstart braucht Zeit und Übung. Gut geschulte Fachkräfte tragen maßgeblich zum gelingenden Stillen bei“, so Maria Flothkötter, Leiterin des Netzwerks Gesund ins Leben. Hebammen, Fachkräfte in der Kinderkrankenpflege und qualifizierte Stillberater*innen, Frauenärzt*innen sowie Kinder- und Jugendärzt*innen sind gemeinsam gefragt, um Eltern einfühlsam und versiert zu beraten und zu entlasten. Auch bei ungünstigen Startbedingungen kann noch eine stabile Stillbeziehung etabliert werden. In örtlichen Stillgruppen oder Elterntreffs finden Mütter dabei Rückhalt und die Möglichkeit, sich über ihre individuellen Stillerfahrungen auszutauschen.