Lange schon forderten Fachkräfte einheitliche Handlungsempfehlungen zur Kariesprävention bei Säuglingen und kleinen Kindern. Nun liegen sie vor und bilden einen neuen Beratungsstandard. Entwickelt wurden sie gemeinsam von Vertreterinnen und Vertretern aller relevanten Fachgesellschaften und -gruppen. Koordiniert hat den Prozess das Netzwerk Gesund ins Leben. Netzwerk-Leiterin Maria Flothkötter freut sich über das gemeinsame Ergebnis: „Das gibt Fachkräften und Eltern Sicherheit.“
Denn wo bisher verschiedene Empfehlungen von Kinderärzt*innen und Zahnärzt*innen nebeneinanderstanden, gelten nun klare, einheitliche Empfehlungen. „Das hilft allen sehr dabei, die Maßnahmen zur Kariesprävention im individuellen Alltag von Familien mit Babys und kleineren Kindern besser zu verankern. Kinder- und Jugendärzt*innen und Zahnärzt*innen sprechen gleiche Empfehlungen aus und die Beratungen ergänzen sich“, so Flothkötter.
Vorteile von kariesfreien Milchzähnen
Die Karieshäufigkeit im Milchgebiss ist seit Mitte der 1990er Jahre bisher nur um etwa 35 Prozent zurückgegangen. Fast die Hälfte der sechs- bis siebenjährigen Kinder ist weiterhin von Karies betroffen [1]. Insbesondere Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten Familien sind deutlich häufiger betroffen [2]. Das kann Folgen für die bleibenden Zähne haben. Denn bleiben die Milchzähne kariesfrei, ist das Kariesrisiko bei den bleibenden Zähnen geringer [3,4,5]. Wenn Präventionsmaßnahmen schon im frühen Kleinkindalter zur Gewohnheit werden und im Alltag verankert sind, gehen sie im späteren Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter leichter von der Hand und bleiben als Routinen etabliert.
Verschiedene Maßnahmen der Prävention ergänzen sich
Zu einer effektiven Kariesprävention gehören eine zahngesunde Ernährung, die konsequente Vermeidung von zuckerhaltigen Getränken in Säuglingsflaschen und von Dauernuckeln, die Anwendung von Fluoriden und ein bis zum Kleinkindalter erreichtes tägliches Zähneputzen, um Beläge soweit wie möglich zu reduzieren.
Fluorid spielt eine Schlüsselrolle
Eine Schlüsselrolle in der Kariesprävention spielt die Fluoridanwendung [6,7]. Sie wird von Geburt an in angemessener Dosis empfohlen. Die Höhe der Dosis und die Art der Anwendung richten sich nach dem Alter des Kindes und der Fluoridzufuhr aus anderen Quellen, wie etwa dem Trinkwasser.
Bei einer Überdosierung von Fluorid kann es zu Dentalfluorosen in den bleibenden Zähnen kommen [8]. Säuglinge und Kleinkinder haben dafür ein erhöhtes Risiko. Als optimale Dosis – höchster kariespräventiver Effekt und geringes Fluoroserisiko – sieht die European Food Safety Authority (EFSA) 0,05 Milligramm (mg) pro Kilogramm (kg) Körpergewicht pro Tag an [8]. Darauf basieren auch die Referenzwerte der deutschen, österreichischen und Schweizer Ernährungsfachgesellschaften [9]. Auch nach einer Übersichtsarbeit zur Fluoridzufuhr bei Kindern liegt die tägliche „optimale Fluoridzufuhrmenge“ für die Vorbeugung von Karies und die Vermeidung von Fluorosen zwischen 0,05 und 0,07 mg/kg Körpergewicht [10]. Die EFSA gibt als tolerierbare Tageshöchstmenge einen Wert von 0,1 mg/kg Körpergewicht pro Tag für Fluorid an [11].
Überdosierung vermeiden – Eltern tragen Zahnpasta auf
Um eine zu hohe Fluoridzufuhr zuverlässig zu vermeiden, ist die korrekte Dosierung der empfohlenen Zahnpastamenge unerlässlich. Säuglinge und Kleinkinder können Zahnpasta noch nicht ausspucken und verschlucken sie daher zum Teil. Deshalb ist es notwendig, dass die Eltern die Zahnpasta in korrekt dosierter Menge auf den Bürstenkopf auftragen, je nach Kindesalter in Reiskorn- oder Erbsengröße. Zahnpasten aus Tuben mit kleinerer Öffnung und solche mit neutraler Farbe und neutralem Geschmack sind zu bevorzugen.
Die einheitlichen Empfehlungen zur Kariesprävention lassen bei korrekter Umsetzung, einem Trinkwasserfluoridgehalt unter 0,3 Milligramm (mg) pro Liter (l) und strikter Einhaltung der empfohlenen Zahnpastamenge keine Überschreitungen der tolerierbaren Tageshöchstmenge erwarten. Es ist wichtig, die Eltern mit praktischer Anleitung zur Zahnpastadosierung im Rahmen der kinder- und zahnärztlichen Beratungen aufzuklären.
Bei Wasser für Säuglings(milch)nahrung Fluoridgehalt prüfen
Bei nicht gestillten Säuglingen hängt die Fluoridzufuhr insbesondere vom Fluoridgehalt des Wassers ab, das zur Zubereitung von Säuglings(milch)nahrung verwendetet wird. Der Fluoridgehalt des Trinkwassers in Deutschland liegt meist unter 0,3 mg/l, in einigen Regionen erheblich darüber. Auskunft über den Fluoridgehalt vor Ort gibt der örtliche Wasserversorger. Mineral- und Tafelwässer können ganz unterschiedliche Fluoridkonzentrationen enthalten. Ist der Fluoridgehalt nicht auf der Verpackung angegeben, gibt der Hersteller Auskunft. Bei einem Fluoridgehalt des verwendeten Wassers von 0,3 mg/l und mehr wird für Säuglinge, die ausschließlich oder überwiegend mit Säuglings(milch)nahrung ernährt werden, kein weiteres Fluorid aus anderen Quellen bzw. eine reduzierte Dosis empfohlen.
Erstes Lebensjahr: ans Zähneputzen behutsam heranführen
Von der Geburt, in der Regel ab der zweiten Lebenswoche, bis zum Zahndurchbruch wird eine systemische Fluoridgabe mittels Tablette in Kombination mit Vitamin D empfohlen. Im Alter zwischen 6 und 10 Monaten brechen bei den meisten Kindern die ersten Milchzähne durch [12]. Das Kind wird dann behutsam an das regelmäßige Zähneputzen ohne oder mit (fluoridhaltiger) Zahnpasta herangeführt.
Ziel ist es, das zweimalige tägliche Zähneputzen als Routine im Tagesablauf zu etablieren. Säuglinge erkunden Gegenstände mit Mund, Zunge und Lippen. Alles wird dazu in den Mund gesteckt, bekaut und belutscht. Dieses Verhalten, das in der Mitte des ersten Lebensjahres besonders stark ausgeprägt ist, kann Eltern dabei unterstützen, ihr Kind allmählich an Zahnbürste und Zähneputzen heranzuführen und zu gewöhnen. Die Eltern reinigen die Zähne behutsam und keinesfalls gegen den Widerstand des Kindes.
Zusammenarbeit der Ärzt*innen verschiedener Fachrichtungen
Die pädiatrische Beratung zur Kariesprophylaxe ab Zahndurchbruch erfolgt je nach Zeitpunkt des Zahndurchbruchs, meist bei der U5 im 6. bis 7. Lebensmonat. Da 99,4 Prozent aller Kinder die U5 in Anspruch nehmen [13], werden damit nahezu alle Kinder dieser Altersstufe erreicht. Im Rahmen der zahnärztlichen Früherkennungsuntersuchungen (FU 1a zwischen 6. und 9. Lebensmonat und FU 1b im 10. bis 20. Lebensmonat) können Zahnärzt*innen Informationen zur zahngesunden Ernährung, Zahnpflege und zu Fluoridierungsmaßnahmen vermitteln.
Die Kinder-Richtlinie sieht seit Ende 2019 zur besseren Vernetzung von Pädiatrie und Zahnmedizin in allen Untersuchungen von U5 bis U9 den Verweis zu den zahnärztlichen Früherkennungsuntersuchungen vor [14]. Pädiatrische und zahnärztliche Beratungskräfte sollten ein besonderes Augenmerk auf Kinder mit erhöhtem Kariesrisiko richten. Dies zeigt sich vor allem durch frühes Auftreten von Plaque an den Oberkiefer-Frontzähnen, Initialkaries sowie kavitierender Karies. Diese Befunde werden mit höherer Prävalenz bei Kindern aus Familien mit problematischem Ernährungs- und Mundhygieneverhalten und mit niedrigem sozioökonomischem Status gefunden, außerdem bei Kindern mit Behinderungen und chronischen Krankheiten.
Der Artikel basiert auf den bundesweiten Handlungsempfehlungen zur Kariesprävention im Säuglings- und frühen Kindesalter.