Ernährung hat großen Einfluss auf die gesundheitliche Entwicklung von Kindern, besonders in den ersten Lebensmonaten. Stillen ist die erste Wahl für Babys: Muttermilch ist gesund, sicher und enthält alles, was Säuglinge brauchen [1, 2]. Alternativ oder ergänzend bekommt das Baby industriell hergestellte Flaschennahrung. Säuglingsanfangsnahrung, Folge- und Spezialnahrung müssen hohen Anforderungen genügen. Ihre Zusammensetzung ist gesetzlich reguliert, ebenso deren Vermarktung und Informationen für Fachkräfte und Familien [3–6]. So regelt etwa die „Delegierte Verordnung (EU) 2016/127“ maßgeblich die Zusammensetzung, Kennzeichnung und Bewerbung von Säuglingsanfangs- und Folgenahrung für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union, darunter auch Deutschland.
Warum die Gesetzgebung vor Werbung schützt
Werbung beeinflusst unsere Wahrnehmungen, Einstellungen und Verhaltensweisen – oft unbewusst [7, 8]. Aus Gesundheits- und Verbraucherschutzgründen darf für Produkte wie Alkohol, Tabak, Nahrungsergänzungsmittel oder Flaschennahrung nur eingeschränkt geworben werden. Hersteller richten sich mit Werbung, Produktinformationen und Gratisproben für die sogenannten Muttermilchersatzprodukte gleichermaßen an Fachkräfte und junge Eltern [9, 10]. Im Gegensatz dazu hat das Stillen keine finanzkräftige Lobby. Familien vertrauen ihren betreuenden Fachkräften [11, 12]. Die Werberegulierung soll daher sicherstellen, dass Fachkräfte diese unbeeinflusst von externen Interessen beraten.
Welche Werbung ist verboten, welche erlaubt?

Die Gesetzgebung schränkt die Verbraucherwerbung und bestimmte Vermarktungspraktiken für Säuglingsanfangs-, Folge- und Spezialnahrung ein. Die Tabelle fasst die Regelungen zusammen. Einige richten sich an Hersteller, andere richten sich an medizinisches Fachpersonal mit Kontakt zu jungen Familien. Was sich daraus konkret für Fachkräfte ergibt, ist weiter unten im Abschnitt „Was kann ich persönlich tun?“ genauer erläutert.
Regelungen zur Vermarktung von Muttermilchersatzprodukten gemäß EU-Vorgaben | |
Was ist verboten? | |
Für alle Hersteller von Säuglingsanfangsnahrung (bekannt als PRE oder 1) gilt: |
|
Für Säuglingsanfangsnahrung (PRE oder 1) gilt: |
|
| |
| |
| |
Was ist für Kennzeichnung und Informationen zu beachten? | |
Für Säuglingsanfangsnahrung (PRE oder 1) und Folgenahrung (bekannt als 2 oder 3) gilt: |
|
| |
| |
Was ist erlaubt? | |
Generell: |
|
| |
Für Folgenahrung (2 oder 3) gilt: |
|
Für Spezialnahrung (für besondere medizinische Zwecke z. B. bei Stoffwechselerkrankungen) gilt: |
|
*„Sachbezogen“ bedeutet, dass die Informationen neutral und wissenschaftlich korrekt sind und die Anforderungen an Kennzeichnung und Informationen beachtet werden. |
Was empfiehlt der WHO-Kodex zur Werbung für Muttermilchersatz?
Im Zusammenhang mit der Vermarktung von Säuglingsnahrung fällt häufig der Begriff „WHO-Kodex“. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat bereits im Jahr 1981 diesen „Internationalen Kodex zur Vermarktung von Muttermilchersatzprodukten“ verabschiedet. Der Kodex will Familien und Fachkräfte vor dem Einfluss von Werbung schützen und darüber hinaus Fachkräfte vor Interessenkonflikten bewahren. Seine Empfehlungen sind in vielen Ländern der Welt in die Gesetzgebung eingeflossen, auch in die EU-Verordnung 2016/127.
Über die EU-Verordnung hinaus empfehlen der Kodex und seine nachfolgenden Ergänzungen [13]:
- keine Verbraucherwerbung für sämtliche Muttermilchersatzprodukte bis zum Alter von 3 Jahren, also auch nicht für Folgenahrung und spezielle Milchgetränke für Kleinkinder (sogenannte Kindermilch)
- keine Werbung für Flaschen und Trinksauger
- keine Sonderangebote und Gratisproben für diese Produkte
- kein Sponsoring von Fortbildungen oder Veranstaltungen für Fachpersonal
- kein direkter Kontakt von Herstellern zu Eltern (z. B. via Hotlines, Baby-Clubs, auf digitalen Kanälen oder anderen Wegen)
Zu diesen Maßnahmen können sich Hersteller und Fachkräfte freiwillig verpflichten.
Viele Akteure im Gesundheitswesen setzen zum Schutz der Fachkräfte und der Familien die gesetzlichen Regelungen und die Empfehlungen des WHO-Kodex um: Etwa Kliniken, die gemäß der WHO/UNICEF-Initiative als „babyfreundlich“ zertifiziert sind [14], oder kinder- und jugendärztliche Praxen, die gemäß einer Checkliste der Nationalen Stillkommission eine Selbstauskunft als „Stillfreundliche Praxis“ aufhängen [15, 16].
Wo verbergen sich Interessenkonflikte?

Fachpersonen werden gezielt von Herstellern angesprochen und können so in einen Interessenkonflikt geraten. Damit ist gemeint, dass die Beratung der Fachkraft von Dritten beeinflusst sein könnte, zum Beispiel durch Gratismaterial, Geschenke, Honorare oder Sponsoring [17–19]. Die Zuwendungen erzeugen einen Interessenkonflikt, auch wenn sich viele Fachkräfte nicht bewusst anders verhalten. Denn nicht nur tatsächliches Fehlverhalten wird darunter verstanden, sondern schon allein das Risiko, voreingenommen oder interessengeleitet zu beraten.
Die Forschung zeigt: Wer etwas geschenkt bekommt, fühlt sich bewusst oder unbewusst zu Dankbarkeit oder einer Gegenleistung verpflichtet. Gerade wer sich für immun gegenüber einer Einflussnahme hält, ist besonders anfällig. Wie wertvoll ein Geschenk ist, spielt dabei keine Rolle [20, 21]. Hersteller sprechen gezielt Fachpersonen an, weil diese das Vertrauen der Familien genießen. Sie hoffen darauf, dass sich ihre Glaubwürdigkeit auf die Produkte überträgt [9, 22].
Was können Fachkräfte persönlich tun?
Medizinisches Fachpersonal muss die gesetzlichen Regelungen beachten:
- Im Wartezimmer verboten: Es dürfen keine Elterninformationen und Gratisproben für Anfangs- und Spezialnahrung und keine Werbegeschenke ausgelegt werden. Mit Herstellerlogo ausgestattete Gegenstände wie Kugelschreiber, Spucktücher, Flaschen, Kalender, Windeln oder Untersuchungsheft-Hüllen sowie Elterninformationen über Anfangs- und Spezialnahrung sind im Wartezimmer gesetzlich untersagt. Das Praxisteam sollte Proben, Infomaterial und Werbegeschenke direkt an die Absender zurücksenden und abbestellen.
- Im Wartezimmer erlaubt: Sachbezogene Elterninformationen und Gratisproben für Folgenahrung dürfen ausgelegt werden. „Sachbezogen“ bedeutet, dass die Informationen neutral und wissenschaftlich korrekt sind und die Anforderungen an Kennzeichnung und Informationen beachtet werden (s. Tabelle).
- Für die Beratung erlaubt: Fachkräfte können Familien zur Verwendung von allen Muttermilchersatzprodukten beraten. Sachbezogene Elterninformationen und Gratisproben dürfen für Folge- und Spezialnahrung ausgegeben werden. Bei Spezialnahrung darf das jedoch nur im Rahmen der ärztlichen Beratung im Sprechzimmer erfolgen.
Medizinische Fachkräfte können sich selbst und Familien noch besser vor Einflussnahme schützen, wenn sie über die gesetzlichen Regelungen hinaus auch die Empfehlungen des WHO-Kodex umsetzen. Das bedeutet zum Beispiel, dass sie möglichst keine Kontakte zu Herstellern von Muttermilchersatzprodukten pflegen, keine von Herstellern bezahlten Vorträge halten, keine Elterninformationen, Gratisproben, Werbung oder Geschenke annehmen und sich aus unabhängigen Quellen informieren.
Bei einem konkreten Verdacht auf einen Gesetzesverstoß bezüglich der Vermarktung von Flaschennahrung kann man sich an die Lebensmittelüberwachung wenden (siehe unten). Wichtig zu wissen: Die Hersteller selbst sind für die Einhaltung der Gesetze verantwortlich und können belangt werden. Fachkräfte müssen keine Angst vor Konsequenzen haben, auch wenn ein möglicher Verstoß bei ihnen – etwa in einer Praxis – beobachtet wurde.
Wer als Fachkraft gut informiert ist, kann unabhängig beraten und Familien ermöglichen, Entscheidungen selbstbestimmt zu treffen.